Donnerstag, 24. Dezember 2020

"Und sie dreht sich" - Eine Geschichte zur Weihnachszeit

In vielen Haushalten dreht sich zur Advents- und Weihnachtszeit eine klassische Weihnachtspyramide

Gedichte, Märchen und Geschichten gehören zur Advents- und Weihnachtszeit dazu. Unsere traditionelle Lesung in unserem Dorfmuseum "De Dörpstuw" musste in diesem Jahr allerdings leider ausfallen. Sie findet sonst immer unmittelbar vor dem 3. Advent  statt. Als Alternative gibt es daher heute am Heiligabend einen Weihnachtsgruß von uns an Euch in Form einer kleinen Geschichte. 

In der Kurzgeschichte geht es um eine Weihnachtspyramide.



"Und sie dreht sich"

Das mit den Weihnachtspyramiden, das ist so eine Sache. Die einen lieben sie unendlich und die anderen bekommen ein beinahe schmerzverzerrtes Gesicht, weil sie ihnen so schrecklich kitschig oder altbacken erscheinen. Ob Kitsch oder Kunst, ich denke, das mag am besten jeder für sich entscheiden. Ich selbst habe zu Weihnachtspyramiden eine durchaus gespaltene und eher sehr skeptische Meinung. Und trotzdem, es gibt in meinem Haushalt eine Weihnachtspyramide – und die mag ich wirklich!

Meine beiden Geschwister und ich wurden in Mecklenburg geboren und sind hier aufgewachsen. Unsere Eltern erhielten Mitte der 1960er Jahre eine der begehrten Weihnachtspyramiden geschenkt. Ihre beste Freundin, für uns Kinder „Tante Dörte“, hatte tatsächlich irgendwo eine Weihnachtspyramide „ergattert“. Was für ein Geschenk!

Kunsthandwerk aus Traditionswerkstätten in der DDR war auch in Westdeutschland begehrt und entwickelte sich zu einem Exportschlager, durch den die DDR notwendige Devisen einnahm. Die DDR-Mark war ja auf dem Weltmarkt nichts wert, doch der Staat musste an Devisen gelangen, um einige dringend benötigte Güter einkaufen zu können. Dass so viel Kunsthandwerk ausgeführt wurde hatte zur Folge, dass Weihnachtspyramiden zu den Dingen gehörten, die in der DDR oft nur „unter dem Ladentisch“ und durch gute persönliche Beziehungen zu bekommen waren.

Unsere Pyramide ist eine für die damalige Zeit recht moderne Pyramide. Ganz schlicht und in den Grundfarben Blau und Weiß entspricht sie wohl eher überhaupt nicht dem Typus, an den die meisten bei dem Wort „Weihnachtspyramide“ automatisch zuerst denken. Für uns Kinder war es aber von Anfang an einfach eine tolle Pyramide. Und sie drehte sich. Sie drehte sich in der Advents- und Weihnachtszeit fast täglich und brachte nicht nur die Kinderaugen zum Leuchten. Sie drehte sich zwar fast täglich, aber das leider meistens nur für die Brenndauer einer halben oder sogar nur einer viertel Pyramidenkerzen-Länge, selten durften die Kerzen durchgehend herunterbrennen. Das fanden wir Kinder natürlich sehr schade. Doch dafür, dass die Pyramidenkerzen so sparsam verwendet wurden, gab es eine einfache Erklärung: auch Pyramidenkerzen waren oft Mangelware und nur schwer zu bekommen. 

In den ersten Jahren durften wir Kinder uns an der Pyramide nur erfreuen oder auf Zuruf unserer Eltern, unserer Großmutter oder anderer anwesender Erwachsener die kleinen Kerzen rechtzeitig auspusten. Vor lauter Eifer spritzte da schon hin und wieder mal das rote oder weiße Kerzenwachs umher und landete "fröhlich" auf einer Tischdecke, auf unserer Kleidung, auf dem Teppich oder anderen Gegenständen in der Nähe. Bei unserer Mutter löste das verständlicher Weise natürlich keine besonders große Begeisterung aus. 

 
Weihnachten 1967

Der alljährliche Zusammenbau, das Bestücken mit neuen Kerzen, kleinere Reparaturen, die durch den häufigen Gebrauch immer mal wieder anfielen, und nach Neujahr das Zerlegen und Verstauen bis zur nächsten Saison waren vor allem unserem Vater vorbehalten, der sich behutsam um das fragile Stück kümmerte. Erst ein paar Jahre später, als wir umsichtiger und geschickt genug waren, haben auch wir uns gelegentlich mit um die Pyramide gekümmert.

Weihnachten 1980

Rund dreißig Jahre hat sich die Weihnachtspyramide im Haushalt unserer Eltern gedreht. Dann, bald nach dem Tod unseres Vaters, durfte sie in meinen eigenen Haushalt umziehen. Meine Tochter und ich waren begeistert! Mein Mann kommentierte das geliebte Familienstück „mit den Kerzen tragenden weißen Damen“ zwar eher ein wenig spöttisch, übernahm aber uns zuliebe von Anfang an freiwillig und wirklich sehr sorgsam die „betriebliche Betreuung“. 

Also hat sich die Pyramide nun jedes Jahr in der Advents- und Weihnachtszeit in unserem Haushalt gedreht. Und sie dreht sich immer noch. Jedes Jahr freue ich mich erneut, wenn der Karton zum 1. Advent vom Dachboden geholt wird. 

Es ist übrigens immer noch der Original-Karton aus den 1960-er DDR-Jahren. Nur das kleine aufgeklebte Schild mit den Herstellerangaben und dem EVP, dem damaligen "Einzelhandelsverkaufspreis" (Endverbraucherpreis), ist verloren gegangen oder wurde bewusst entfernt. Sicherheitshalber wurde der Karton vor einigen Jahren von Hand beschriftet, damit eindeutig ist, was sich darin befindet und mit dem Karton vorsichtig umgegangen wird, um eine Beschädigung der Weihnachtspyramide zu vermeiden. 

Es ist nicht verwunderlich, dass die vielen tausend Runden im Laufe der Zeit fast zwangsläufig so einige Spuren hinterlassen haben. Die Laufmulde ist etwas ausgeschlagen, wodurch die Mittelachse „eiert“. Der eine oder andere Flügel hat leichte Schmauchspuren abbekommen. Die Kerzenhalterungen wackeln immer mal wieder oder es sind kleine Lackschäden zu beheben. Doch sie dreht sich. Zuverlässig. Sie schafft alle Jahre erneut Behaglichkeit und sorgt für Freude in der Advents- und Weihnachtszeit.


Irgendwann wird die schlichte Weihnachtspyramide vielleicht (oder ganz bestimmt?) innerhalb der Familie zur nächsten Generation weiterwandern. Ein kleines verbindendes Stück unserer Familiengeschichte.

Und sie dreht sich …

 


Eine kleine Geschichte zur Weihnachtszeit, aufgeschrieben von Isa Krietsch. 
Fotos: Familienalbum und Isa Krietsch


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Bestimmt gibt es auch in Eurer Familie etwas, über das sich eine kleine Geschichte erzählen lässt. Ihr könntet Euch so eine Geschichte doch beispielsweise innerhalb der Familie oder jemandem am Telefon erzählen. Ihr könntet sie aufschreiben und dazu passende Fotos oder Zeichnungen heraussuchen oder selbst anfertigen. Und ihr könntet Eure Geschichte an andere Familienmitglieder, Freunde oder Bekannte als ein besonderes und ganz persönliches Geschenk verschenken. Vielleicht probiert Ihr es in diesem oder im nächsten Jahr einmal aus.





Die Mitglieder und der Vorstand des Fördervereins "Alte Schule" - Barnin e.V. 
wünschen Euch nun ein besinnliches und bereicherndes Weihnachtsfest,
macht eine gute, ruhige Zeit daraus und bleibt gesund!






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